Wer glaubt, die Schwarzmeerküste ist eintönig, links Wasser und rechts Land, irrt sich. Das ist ganz schön abwechslungsreich. Flachland, Hügelketten, die bis ans Wasser reichen, Sanddünen bis auf die Straße, moderne Städte und alte Dörfer:
Abends hab ich einen Campingplatz entdeckt. Ich ging hin und fragte, was es kostet, währenddessen sah ich mich schon mal um. War nicht viel besser als mein erster Versuch, ich bin vorsichtig geworden. Der Rezeptor sagte 50 Lira. Für Mitteleuropa wäre das ok, allerdings mit etwas mehr Komfort.
Das sagte ich ihm auch, bedankte mich und ging weiter. Nach 1 km fand ich einen wunderschönen sauberen Strand, auch am Tag vermutlich ein Geheimtipp. Zur Landseite kam eine 2 bis 5 m hohe Böschung mit Buchten, in die man erst sehen kann, wenn man davor steht. Der Strand war total sauber, nur etwas Müll, der vom Meer angespült wurde, lag da, wo die Wellenausläufer ihr Maximum erreichen, und das war direkt an der Böschung. Das heißt, dass die höchsten Wellen den gesamten Strand überspülen. Ich suchte im Internet, ob ich was über Ebbe und Flut am Schwarzen Meer finde. Ich fand, und die sagen, Ebbe und Flut gibt's dort nicht. Dann gibt's so hohe Wellen nur bei starkem Wind. Und es blies immer noch ein starker Nordwind. Aber momentan enden die höchsten Wellen 10 m vorher, das macht einen Höhenunterschied von schätzungsweise 1,5 Meter. Ich riskiere es.
Beim Zelt aufstellen muss ich es sofort beschweren, sonst bläst es der Wind davon.
Der Wind hat über Nacht nachgelassen und war am Morgen fast ganz still. Ich hab zwischendurch schon mal sorgenvoll nachgeschaut, und konnte danach besser schlafen. 2 km weiter war schon wieder ein Campingplatz, der erschien mir unbewohnt, aber das Tor war offen. Ich wollte nur mal sehen, wie es dort aussieht (es war etwas besser), da kam aus einer größeren Hütte ein Mann, aber ich verstand ihn nicht, und er mich auch nicht. So zückte ich wieder mein Handy. Ich habe eine App mit einer Weltzeituhr, da sieht man den Globus mit den größten Städten, man kann ihn größer oder kleiner machen und wenn man ihn anstupst, dann dreht er sich. Damit wird jedem klar, was ich vorhabe. Details zeige ich dann besser mit Google Maps (Jetzt hab ich wieder zuviel Werbung für Google gemacht, ich hoffe, die honorieren das irgendwann mal). Ich fragte ihn, ob er Tee hat, daraufhin ist er wieder in seiner Hütte verschwunden, da drin war eine Küche, ein Esszimmer und ein WC. Er hat dann ein üppiges Frühstück aufgetischt, mit Rührei, gebratener Wurst und Zwiebeln, verschiedene Käsesorten, Oliven, einen Gemüseteller mit Gurken und Tomaten, sowie Marmelade und noch irgendwas Süsses. Und Tee, soviel man wollte. Dazu Weißbrot und Brezenähnliche Ringe mit Sesamsamen. Dann kam noch ein Mann dazu, das war der einzige Gast für eine Nacht. Der konnte ein paar Brocken englisch. Nach dem Frühstück erklärte er, er geht mit mir mit bis zur nächsten größeren Stadt, und die war 14 km entfernt (bezahlen durfte ich wieder nicht).
Es war dann doch nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Er war ebenfalls 67 Jahre alt, war mit Rucksack und Zelt unterwegs, allerdings mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der alte Knabe war erstaunlich fit, er bewältigte die Strecke in 4 Stunden, ohne Klagen, aber mit vielen Pausen. Wenn er schlapp gemacht hätte, hätte ich ihn an der nächsten Bushaltestelle stehen gelassen. Er war aus Ankara, wollte zum ersten Mal ein paar Tage Urlaub ohne Familie machen und hat auf dem Campingplatz nur die eine Nacht verbracht. Ich wollte natürlich wissen, was das gekostet hat: 30 Lira incl. Frühstück (7,50 €). Das finde ich wieder günstig.
Fini hat mich gefragt, ob ich bei 42 Grad noch laufen kann, das interessiert vielleicht auch andere, nein, normalerweise nicht. Aber Vormittag und Abends ist es nicht so heiß, da geht's. Ein paarmal lag ich aber mit meiner Temperaturschätzung weit daneben. Es kommt vor, dass ich meine, es hat 42, dabei sind es aber nur 36 Grad und ich fühle mich so schlapp, dass ich nicht laufen kann. Umgekehrt gibt's das auch, ich denke es hat 36 Grad, ich laufe, und irgendwann sehe ich die Zahl 42. Egal, ich richte mich nach meinem Gefühl. Seit ich am Schwarzen Meer bin, war es aber nicht mehr so heiß.
Manchmal fordern die Türken Auskunft von mir, als wäre es ihr Grundrecht, und für mich die einzige Möglichkeit, eine Transit Erlaubnis zu erlangen. Der Tonfall ist etwa so wie: was hast du hier zu suchen? Das klingt aber nur in meinen Ohren so. Objektiv ist es eine ehrliche, freundliche Anteilnahme. Das wird beim Gespräch sofort klar. Der Fragende unterbindet mit seinem Tonfall jeden Fluchtgedanken, du musst dich ihm stellen.
Nachtrag. Diese Bilder gehören noch zu meiner Straßenbeschimpfung. Dieses dokumentiert, wie mir die Benutzung der Gehwege durch kilometerlange, lückenlose Leitplanken unmöglich gemacht wird. Und das ist jenseits von Österreich leider Standard.
Eine Autobahn durchschneidet die Stadt. Rechts eine Reihe Häuser, dahinter der Strand, links die Stadt. In der Straßenmitte ein Zaun vom Typ Hochsicherheitsgefängnis, davor und dahinter die Fahrspuren als Todesstreifen. Zum Trost oder als Alibi gibt's alle 1000 m so eine Fußgänger Brücke, nicht nur für mich oder für Kinderwagen eine Zumutung. Superhohe Bordsteinkanten, ein Buswartehäuschen mitten auf dem Gehweg, ob da noch ein Kinderwagen vorbeikommt, interessiert kein Schwein. Und so sieht das in fast jeder Stadt und jedem Dorf aus.
Es ist 10:00 Uhr und ich bin in Zonguldag. Ich muss eine Rubrik einführen die heißt: und keinen stört es.
Vorhin bin ich an einem Stadtteil vorbeigekommen, der lag in einem Talkessel, dichtbebaut, auch viele Hochhäuser. mittendrin, aber in der Talsohle stand eine Fabrik, oder wars die Zentralheizung für das Viertel? Zwei Schlote qualmten aus vollen Rohren und nebelten das ganze Tal ein. Ich bekam schon vom Vorbeigehen einen rauen Hals. Diese Luft muss die Lebenserwartung der Bewohner drastisch verkürzen, und keinen stört es. Ich konnte es leider nicht fotografieren, weil mein Akku wieder mal leer war.
Hier nimmt ein Baum den gesamten Gehweg ein. Aber ich verlange nicht, dass sie ihn umhauen.
Das ist ein romantisch beleuchteter Fußgänger Tunnel mitten in Zonguldak. Hier reichen 3oo m hohe felsige Berge bis ans Meer, außenrum gibt's keinen Weg, oben darüber schon. Und die Stadt erstreckt sich über mehrere solcher Hügel. Die Straßen haben Steigungen bis (ich schätze) 25%. Karadeniz Eregli war ähnlich.
Gestern war eine schwere Etappe von Karadeniz nach Zonguldag. Für die ersten 10km hab ich 3 Stunden gebraucht. Das hätte eine Abkürzung sein sollen, km mäßig wars das auch, aber zeitlich das Gegenteil. Dafür hatte ich saubere Luft, weil kein einziges Auto dort fuhr. Es war eine Schotter- Bergstraße, wie ich sie von den bayerischen oder italienischen Alpen kenne. Nicht so hoch, aber ein ständiges auf und ab, 700 Hm. Das kann man bei Google Maps leider nicht sehen. Dass auf einer Strecke von 45 km keine Ortschaft, kein Haus, rein gar nichts ist, nur eine paradiesische Berg Landschaft, das wusste ich schon. Abends bei der ersten Gastwirtschaft habe ich sofort gebremst. Der Wirt fragte mich, ob ich was essen will, bevor ich fragen konnte. Dann wies er mir einen Platz zu, wo gegenüber jemand saß. Auf dem Tisch standen ein paar Töpfe mit Nudeln, einem Gemüseeintopf und der kalten Zazikisuppe, die ich schon kenne. Dann noch eine Schüssel mit Salat und frisch gebackenes Brot. Als hätten sie auf mich gewartet. Es gab schon für jeden einen eigenen Teller, nur der Salat wurde gemeinsam aus der Schüssel gegabelt. Der Wirt aß auch mit. Nach dem Essen gab's für jeden einen Tee, bisher alles ohne zu fragen, was ich will. Und da kam dann jemand dazu, der englisch konnte. Nachdem er gehört hatte, was ich hier mache, sagte er: you must be crazy. Dann stellte sich heraus, dass es sich um einen Soldaten Friedhof handelte, mit Gaststätte für die Besucher. Ich war der einzige Besucher, die anderen kannten sich bzw. arbeiteten dort. Geld wollten sie anschließend wieder nicht. So komme ich sehr günstig um die Welt.
Sonnenuntergang bei Zonguldag im Schwarzen Meer.
kleine Moschee in Izmit von innen.
wenns sein muss, tarne ich mein Zelt.
Es gibt Menschen, die fragen mich wohin ich will, um mir dann den Weg zu erklären, obwohl ich sie, und sie mich nicht verstehen. Heute hatte ich wieder so einen Fall. Als er das kapiert hatte, wollte er mich zum "richtigen" Weg führen. Mein Navy hat mich zuverlässig bis nach Zonguldak geführt, gravierende Fehler sind nur passiert, wenn ich etwas falsch interpretiert habe. Und inzwischen weiß ich, dass der kürzeste Weg nicht immer der schnellste ist, weil Google Maps die Höhe nicht berücksichtigt. Ich habe inzwischen einiges Vertrauen in das System gewonnen, aber der Kollege in Zonguldak wollte mich unbedingt in die entgegengesetzte Richtung führen. Nach mehreren erfolglosen Protesten bin ich einfach umgekehrt und meinen Weg gegangen, und er seinen.
Ich wollte in Zonguldak zu einem bestimmten Postamt, weil mir mein Bruder einen Brief dorthin geschickt hat. Mit ein paar Fragen und mit Hilfe meines Navys fand ich es auch, aber die schickten mich zu einer anderen Filiale. Dort haben sie mich auch abgewiesen, weil kein einziger Mitarbeiter dort mit mir kommunizieren konnte. In der übernächsten Kneipe fand ich jemanden, der englisch konnte, und nachdem ich ihm von meinem Problem erzählt hatte, erklärte er sich sofort bereit, mich dorthin zu begleiten und zu dolmetschen. Er nahm dort gleich einen anderen Eingang wie ich, und 3 Minuten später hatte ich meinen Brief.
So sind sie, die Türken, alle. Ich hab noch keinen anderen gesehen.
Auf meinem weiteren Weg nach Osten folgte ich also den Empfehlungen auf meinem Smartphone, und entdeckte dadurch abgelegene Wohngebiete und Straßen mit wenig Verkehr, aber sehr vielen Höhenmetern entlang der Küste. Zonguldak hat sicher über 100 000 Einwohner und ist nicht nur auf 7 Hügeln erbaut, sondern auf (gefühlt) 100. Und die Straßen sind manchmal so steil, dass der Gehweg als Treppe gebaut wurde. Am Abend war ich immer noch nicht draußen, da hielt ein Auto mit 2 jungen Männern vor mir. Der Beifahrer konnte gut englisch und fragte mich, ob sie mich zum Abendessen mit nach Hause nehmen dürfen. Sie durften. Ich war neugierig, wie so eine türkische Familie wohnt und lebt und habe hier noch keine Wohnung von innen gesehen, außer der von Ismael. Zuerst ist mir ein erstaunlicher Unterschied zwischen drinnen und draußen aufgefallen. Obwohl Zonguldak eine funktionierende Müllabfuhr und Straßenreinigung hat, liegt der Abfall überall herum, vor allem in den Privatgärten und -höfen, und im Haus alles super sauber und gepflegt. Keiner betritt die Wohnung mit Straßenschuhen. Jedes Staubkörnchen wird sofort weggepuzt. Beim Essen kommt eine extra Decke unter den Tisch und die Stühle, und die wird nachher über den Balkon ausgeschüttelt.
In diesem Haushalt leben nur eine Frau, die Oma, die ist 65 und hat ein Hüftgelenk Problem, kann sich nur mit Gehhilfe in der Wohnung bewegen, der Opa ist 75 und zittert wie Parkinsonkranke, beide nehmen mehrmals täglich eine Handvoll Medikamentencocktail zu sich (bei solchen Gelegenheiten schäme ich mich fast dafür, dass es mir so gut geht, nein eher für die darin enthaltene Ungerechtigkeit).
Dann waren da noch die beiden Brüder Mehmet und Sudi, die mich mitgenommen haben, und ein Neffe der beiden, die haben also noch mehr Geschwister. Sudi hat gekocht, Mehmet ist verheiratet und hat einen 3 jährigen Sohn, hat aber grad Trennungsstreit mit seiner Frau. Abends haben sich die Männer außer Opa, in die Garage zurückgezogen, und es kamen noch ein älterer Bruder, ein weiterer Neffe und ein paar Freunde dazu. Es wurde geraucht, getrunken geredet, gelacht. Das ging bis 02:00Uhr früh, und ich kann nichts dafür, aber es war keine Frau dabei. Ich hab dann im Garten in meinem Zelt geschlafen (Zaun oder Gartentor gab's nicht, aber Mehmet meinte, das ist absolut sicher, und so war es dann auch), bis mich der Opa um 07 Uhr zum Frühstück geweckt hat. Wir hatten das so vereinbart, weil ich dann wieder weiter wollte, Aber später in der Garage hat mich Sudi noch zu einem Strandausflug eingeladen, den er mit einem anderen Freund, Mohamed, für morgen geplant hatte. Sie wollten dort schwimmen und grillen und ich könnte ja mein Equipment mitnehmen und danach von dort weitergehen. Ich sagte zu. Das Frühstück war wieder üppig. Inzwischen habe ich gemerkt, dass ich zunehme, ich werde anfangen müssen, darauf ein bisschen zu achten. Der Beach war dann 20 km entfernt, zwar schon östlich, aber die fehlen mir jetzt. Das war jetzt das 3. Mal, dass ich im Schwarzen Meer geschwommen bin, das Wasser war saukalt. Das war nicht immer so, aber heute hab ich es so empfunden. Sudi ging nur bis zur Badehose ins Wasser, Mohamed gar nicht. Gegrillt haben sie auch nicht, stattdessen haben wir in der dortigen Gaststätte gespeist. So bin ich heute wieder nicht weit gekommen.
Blick zurück zum Strand.
Sonnenaufgang am Schwarzen Meer. Es ist 05:30 Uhr. Vor mir liegt ein Tal mit einem Fluß und darin wälzt sich ein Nebelstrom nach links ins Meer. Dort steigt er auf und bildet dichte dunkle Wolken, die aber eine Stunde später schon verdunstet sind. Ich wollte das Schauspiel nochmal bei besseren Lichtverhältnissen fotografieren, aber da war es schon vorbei.
Am frühen Abend ging ich durch Kızılelma. Das ist kein Schreibfehler, das türkische ı ist ein i ohne Punkt und wird ausgesprochen wie ein Mittelding zwischen i und ä, wie man es bei Politikern oft als Denkpause beim Sprechen hört.
Mir fiel ein junger, bärtiger, langhaariger Mann auf, der sich mit einem anderen unterhielt. So etwas sieht man dort selten. Ich steuerte die nächste, ich denke das Wort Kneipe trifft es am besten, an, um einen çai zu trinken, oder zwei. Wie fast immer wurde ich, bevor ich mich setzen konnte, an einen Tisch gerufen, wo ich erklären muss wer ich bin. Kurz darauf kam der langhaarige auch dazu, Mesut heißt er und konnte einigermaßen gut englisch. Das vereinfacht die Unterhaltung. Sie wollen dann immer alles wissen. Dass ich Tischler (Marangoz) war, wird als Pluspunkt gewertet, 2 Kinder machen mich sofort zum achtenswerten, vollwertigen Mann.
Mesut ist 30, arbeitet als Lehrer in Istanbul und hat zur Zeit Ferien. Die verbringt er in seinem Heimatdorf. Er hat einen Freund (Freundin hat er auch) der auch Tischler ist und Bariş heißt. Das ş entspricht unserem sch. Dem hilft er oft, gegen Bezahlung. Ich durfte zum erstenmal eine türkische Schreinerei von innen sehen. Das war eine Mischung aus modernen und vorsintflutlichen Maschinen, die noch nicht mal eine Späneabsaugung haben. Mit solchen Maschinen hab ich auch in Deutschland vor 50 Jahren gearbeitet, als ich meine Schreinerlehre machte. Es ist 19:00 Uhr, und die beiden müssen noch einen Auftrag fertig machen. Anschließend wollen sie nach Mugada fahren, zum nächsten Beach.Ich soll ihnen doch helfen und dann mitkommen. Ich schlug vor dorthin zu gehen, eine Runde zu schwimmen und wir treffen uns dann dort. So machten wir es dann.
Es gab dort auch Duschen, die Benutzung kostete 2,50 Lira. Da saß ein junger Mann, den ich aber wieder nicht verstand. Gegenüber war eine Reihe Caravans, Zelte und Hütten, mit Gastronomie und Klamotten. Gleich der erste, ein Dönercaravan, bot seine Hilfe als Dolmetscher an. Er heißt Sinan, ist zwischen 40 und 50 und hat lange Jahre in Deutschland gearbeitet. Natürlich bekam ich einen Döner und çai soviel ich wollte, musste anschließend noch einen Raki trinken und nachher mit seinen Freunden noch einen. Um halb elf kamen dann Bariş und Mesut und ich musste mit ihnen woanders hingehen. Dort wurde gegrillt, dazu gab es Salat, Melone und Brot und noch einen Raki. Dort habe ich das Frauenproblem angesprochen und gefragt, warum sie alles ohne Frauen machen. Überall auf der Welt sind Männer und Frauen gerne zusammen, warum nicht in der Türkei? Sie stimmten mir zu, dass das ein Problem ist und machten die Religion dafür verantwortlich. Und früher war das besser. Ich will nicht mit ihnen streiten, ich registriere ihre Meinung (oder Ausrede?), ich bin hier immer noch Beobachter. Bisher habe ich den Eindruck, die Frauen führen hier ein Schattendasein. Ich schätze 40% Kopftücher. Manche, vor allem junge Frauen kleiden sich wie die mitteleuropäischen-, und ich habe noch keine Anfeindungen deswegen gesehen. Sie huschen vorbei, manchmal wechseln sie die Straßenseite, wenn ich oder ein anderer Mann ihnen entgegenkommt. Dass Männer und Frauen in Gruppen zusammenstehen oder sitzen, absolut Null. Wenn Sie miteinander sprechen, dann sieht das immer sehr sachbezogen aus.
Der Frauenanteil an der türkischen Bevölkerung muss deutlich über 50% liegen. Ich habe nur wenige Frauen rauchen gesehen, und noch weniger nichtrauchende Männer. Ihre Lebenserwartung muss daher deutlich niedriger sein. Frauen haben hier aktives und passives Wahlrecht, was meiner Meinung nach einer religiösen Unterdrückung widerspricht. Ich habe den Verdacht, dass es eher an den patriarchalen Strukturen in der türkischen Bevölkerung liegt. Ich kann das mit Deutschland vor 50 bis 60 Jahren vergleichen. Damals trugen auch viele Frauen Kopftuch, vor allem ältere, und in den Kneipen sah man keine einzige.
Oder können sich die Männer in Gegenwart von Frauen nicht benehmen? Müssen die Frauen dann um ihre Sicherheit fürchten?
Liebe Türken (es gibt inzwischen einige türkische Leser meines Blogs), ich wäre euch dankbar, wenn ihr mir eure Meinung dazu mitteilt.
Das spricht man aus wie Martin, nur mit B.
Meine erste lebende Schildkröte in freier Natur. Tote hab ich schon viele gesehen. Einem Auto hält ihr Panzer nicht stand. Diese ist ca 20 cm lang und wollte vermutlich die Straße überqueren. Ich hab beschlossen, sie nachher hinüber zu tragen, aber nach dem Fotoshooting hat sie es sich anders überlegt und ist wieder umgekehrt.
Das war heute wieder eine schwere bergige Etappe. Und Bartin ist extrem staubig und schmutzig. Hier auf der Westseite reiht sich ein Kies-, Zement- und Betonwerk an das nächste, und die hinterlassen überall eine dicke Schicht aus Sand und Zementstaub. Und jedes Fahrzeug wirbelt diese als Staubwolke auf. Ich mach mir schon Sorgen um meine Lunge. Außerdem spüre ich den Alkohol von gestern in meinem Brummschädel. Und Temperaturen von 40 Grad Celsius bekommen mir heute auch nicht so gut.
Solche Häuser sind in Bartin eher selten.
Eine Wildschweinplage haben sie also auch.
Auch vor schwarzen Löchern wird gewarnt. Was passiert, wenn ein Auto mit einem schwarzen Loch kollidiert, ist ja allgemein bekannt.
Amasra ist ein "must see". Dafür hab ich ein paar km Umweg gemacht. Hier ehemalige Herrscher.
Amasra war eine Festung aus byzantinischer Zeit, später haben die Römer dort gehaust und sie erweitert. Jetzt sind nur noch einige alte Mauern übrig, und die sind für die Türken eine Pilgerstätte, ein Touristenmagnet. Die Stadt war voller Menschen und so viel Gastronomie so eng aneinander hab ich auch noch nie gesehen.
Ich hab einen Fahrrad Computer an meinen Anhänger gebaut, der hat im Südburgenland aber wieder bei null angefangen. Von Rosenheim sind das jetzt ca 3000 km. Google Maps berechnet für die kürzeste Strecke 2400 km, aber da ist sehr viel Autobahn dabei. Die Differenz kommt von meinen Umwegen.
hinter dem Eck ist ein Wasserhahn, hier kann ich mal wieder Wäsche waschen und frühstücken. Was ich für ein idyllisches Plätzchen gehalten habe, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen natürlich wieder als Mülldeponie.
So sieht es hinter der Mauer aus. Und das ist überall so. Sie entsorgen ihren Müll, als ginge die Umwelt sie nichts an. Auch Problemabfälle wie Neonröhren, Batterien, leere Ölkanister (die sind nie ganz leer) und volle, mit Altöl. Ich habe Menschen gesehen, die zB Plastikflaschen sammeln, auch aus Mülleimern, offensichtlich sind die verwertbar. Ich glaube aber, dass der Erlös so niedrig ist, dass viele es als nicht lohnenswert erachten.
Liebe Türken, das müsst ihr ändern. Am Ende landet das Plastik fein zerteilt, man nennt das Mikroplastik, und viele giftige Inhaltsstoffe, wieder in der Nahrungskette.Für Euch wirkt sich das noch nicht so stark aus, ihr spürt es deshalb noch nicht, aber für die nächsten Generationen wird das ein Problem. Die werden Euren Müll dann wegräumen müssen, und bis das Giftpotential verschwunden ist, kann es Jahrhunderte dauern. Überlegt Euch mal, was die dann von Euch halten.
Ich schau mir das jetzt schon seit 3 Monaten mit Grausen an. In den Balkanländern siehts genauso aus. Ich bin Gast hier, und wollte mich nicht in Eure Angelegenheiten einmischen, aber die Umwelt hat keinen Anwalt (aber das wird sich ändern, verlaßt Euch darauf), und sie gehört Euch auch nicht. Auch Ihr seid nur Gäste auf diesem Planeten für die relativ kurze Zeit Eures Lebens.
Ich habe einen konstruktiven Vorschlag:
Führt ein Pfand ein, oder nennt es eine Steuer, auf alles, was nicht in die Umwelt gelangen darf. ZB 0,50 Lira pro kg. Ich weiß, für manche ist das zu viel, für andere zu wenig. Aber jede/jeder, der seinen Müll bei Sammelstellen abgibt, bekommt dieses Pfand zurück. Dann kann man auch den Müll anderer Leute dort abgeben, aber das muss sich lohnen. Sonst machts wieder keiner.
Jetzt war 5 Tage Funkstille, weil meine 2 Gigabyte aufgebraucht waren. In Inebolu konnte ich nachladen, 4 Gigabyte für 33,- Lira.
Ich zeige euch mal ein paar Bilder der letzten Tage:
Blick von oben auf Wolken unter mir. Ich bin auf 300 m über dem Meer, es ist später Nachmittag und unten , über dem Meer ist Nebel. Der Nordwind treibt ihn aufs Land, die Berge hinauf und verdichtet sie dort zu dunklen Wolken. Nachts regnet es dann. So war die Wetterlage die letzten 3 Tage.
vor ein paar Tagen haben mich 3 türkische Radfahrer überholt, ihrem Gepäck nach Fernreisende. Ossi, Deniz, und der 3. hatte einen schwierigen kurdischen Namen, den ich mir leider nicht merken konnte. Ossi hat eine lange, graue Mähne und Bart, kann aber nicht so alt sein, wie man aus der Haarfarbe schließen würde. Er spricht akzentfrei deutsch und arbeitet als Übersetzer. Saß jahrelang wegen Wehrdienst Verweigerung im türkischen Knast und gilt immer noch als Deserteur. Die 3 wollten in den Nordosten der Türkei, das sind von hier immer noch 1000 km.
Dann lernte ich einen anderen Fahrrad Weltreisenden kennen, George aus dem Südwesten von England, 25 Jahre jung, der will über Kasachstan und die Mongolei nach China.
Die Strecke ist hier so bergig, nur auf und ab mit bis zu 20%, jeden Tag fast 1000 Hm, da ist an laufen gar nicht zu denken, und ich schaffe höchstens 30 km am Tag. Und die Straße ist so kurvenreich, dass das in der Luftlinie bloß 15 km ausmacht. Hier komme ich also nur sehr langsam vorwärts. Aber ich glaube, jetzt wird es besser.
Heute wurde mein Ego in Wohlgefallen gebadet. Vorgestern hat mich zum erstenmal eine Frau kontaktiert. Sie hatte meine Telefonnummer von einem gewissen Semi, mit dem ich mich mal irgendwo unterhalten habe, und hat ein neuerliches Treffen mit ihm arrangiert. Semi ist nämlich Journalist, arbeitet für eine Nachrichtenagentur, die ihre Berichte an andere Journalisten, Zeitungen usw verkauft. Das habe ich aber erst heute erfahren. Außerdem kann er nicht ausreichend englisch um mich das alles zu fragen, was er wissen wollte. Also hat er gleich einen englisch- Dolmetscher mitgebracht. Wir trafen uns in Evrenye, das ist der nächste Ort nach Inebolu. Das hat dort schon für einiges Aufsehen gesorgt. Sie haben mich dann ein Stück begleitet und alle paar Km auf mich gewartet und tausende Fotos von mir gemacht. Dann haben sie mich zum Mittagessen eingeladen in einer historischen Gaststätte:
Das ist ein 900 Jahre alter Ahornbaum.
Im Hintergrund eine alte Moschee, die grad renoviert wird.
Semi hat mir danach noch ein paar mal aufgelauert, das letzte mal mit einer Drohne.
Die kam über der Straße auf mich zu, bevor ich ihn sehen konnte. Zuerst hab ich es für ein Flugzeug gehalten, aber als sie immer näher kam, hab ich kapiert was das ist und dass sie es auf mich abgesehen hatte. Kurz darauf sah ich auch Semi, er saß mit einem Steuergerät, auf dem sein Smartphone angedockt war, am Straßenrand und konnte sehen, was die Kamera der Drohne sah. Er hat mir die Bilder und Videoaufnahmen gezeigt. Er hat alle modernen Dokumentationsmöglichkeiten ausgeschöpft die es gibt und hat nichts ausgelassen. Ein echter Profi.
Das ist ein Ort mit 2600 Einwohnern. Heute hab ich nur 19 km geschafft und hab eigentlich keine Ausrede. Manchmal braucht mein Körper etwas Erholung und sagt es mir nicht, oder nicht so, dass ich es auch verstehe. Erst jetzt, wo ich den Tag bilanziere, wirds mir klar. So viele Kontakte und Gespräche wie in diesem Kaff hatte ich schon lange nicht mehr. Einer hat das mit der Drohne gestern mitbekommen, er fuhr gerade mit seinem Auto vorbei. Ausserdem sind seit ein paar Tagen die ersten Brombeeren reif und bis man ein Kilo davon gepflückt und verdrückt hat, das dauert auch seine Zeit.
Habt ihr euch schon mal an Brombeeren satt gegessen? Das ist wie im Paradies. Hab ich jetzt schon ein paar mal gemacht. Dann gibt's zur Zeit Mirabellen in den verschiedensten Farben, Größen und Geschmacksrichtungen zwischen Zwetschge und Aprikose. Auch die ersten Äpfel, Birnen und Pflaumen sind schon reif und Kirschen gibt es auch noch manchmal, aber das sind jetzt wirklich die letzten.
Heute hab ich den bisher schönsten Zeltplatz gefunden. Er liegt auf einer Felsklippe 20 m über dem Meer, auf einem Absatz, wo grade mein Zelt Platz hat. Ich bin 4 mal hinauf geklettert bis ich meine ganze Ausrüstung oben hatte. Jetzt ist es schon zu dunkel zum fotografieren, das mach ich dann morgen früh. Gut dass niemand da ist der mir sagt, was ich tun darf und was nicht, oder was zu gefährlich ist.
vom Zelt aus nach Norden
der Vollständigkeit halber auch noch nach Süden
Damit Ihr nicht so lange scrollen müsst, fange ich jetzt eine neue Seite an.